Zwölf Kilometer nördlich von München erhebt sich eines der großartigsten barocken Ensembles Süddeutschlands: die Schlossanlage Schleißheim mit Altem Schloss, Neuem Schloss und Schloss Lustheim – eingerahmt von einem der bedeutendsten Barockgärten Europas. Was heute wie aus einem Guss wirkt, ist das Ergebnis von über 400 Jahren Baugeschichte, höfischer Träume und geschickter Inszenierung von Macht.
Vom Herrenhaus zum fürstlichen Landsitz
Den Anfang machte Herzog Wilhelm V. von Bayern. 1595/98 erwarb er in Schleißheim mehrere Schwaigen (Höfe) und ließ 1598 ein schlichtes Herrenhaus, den „Wilhelmsbau“, errichten – Keimzelle des späteren Alten Schlosses. Aus dieser ersten Bauzeit hat sich bis heute der markante Tor- und Uhrenturm erhalten (die Schlagglocke ist auf 1602 datiert). Sein Sohn Maximilian I. ersetzte ab 1617 die Eremitage des Vaters durch einen anspruchsvollen Neubau in der Tradition oberitalienischer Villenarchitektur der Spätrenaissance.
Im Zweiten Weltkrieg wurden große Teile des Alten Schlosses zerstört; der Wiederaufbau zog sich bis in die 1980er Jahre und gab dem Gebäude seine heutige Gestalt zurück. Besonders wertvoll: Teile der originalen Bausubstanz – etwa die westliche Vorhalle und die angrenzende Saalwand – sowie die Stuckausstattung der Wilhelmskapelle.
Lustheim: Jagdschloss und Festarchitektur
Der junge Kurfürst Max Emanuel (reg. 1680–1726) verlieh Schleißheim barocke Größe. Anlässlich seiner Ehe mit der Habsburger Kaisertochter Maria Antonia (Juni 1685) beauftragte er seinen Hofarchitekten Henrico (Enrico) Zuccalli mit einem Jagd- und Gartenpalast: Schloss Lustheim (1684–1688). Lustheim, als Blickpunkt am östlichen Ende des Parks angelegt, folgt dem Typus der italienischen Casino-Bauten – ideal für höfische Feste und Jagdgesellschaften.
Heute beherbergt Lustheim ein Zweigmuseum des Bayerischen Nationalmuseums: die Meißener Porzellan-Sammlung der Stiftung Ernst Schneider, eine der bedeutendsten Sammlungen früher Meissener Porzellane weltweit (über 2.000 Objekte).
Versailles an der Isar? Das Neue Schloss
Mit dem Neuen Schloss setzte Max Emanuel zu seinem größten Wurf an. 1700/01 begannen die Arbeiten – ein Residenzpalast nach französischem Vorbild, gedacht als Bühne für die imperialen Ambitionen des „Blauen Kurfürsten“. Enrico Zuccalli entwarf die Gesamtanlage; nach Max Emanuels Exil und Rückkehr übernahm der in Paris geschulte Joseph Effner die Bauleitung und prägte Fassade und Innenausbau in moderner Régence-Eleganz. Arbeiten an Orangerie- und Marstalltrakten sowie dem großen östlichen Rondell gehen maßgeblich auf ihn zurück.
Die Pracht der Paradezimmer formten herausragende Künstler: der Stuckateur Johann Baptist Zimmermann (u. a. das monumentale Treppenhaus, 1720/22), der Bildhauer Giuseppe Volpini, der Ziermetallkünstler Antoine Motté und der Venezianer Jacopo Amigoni mit gewaltigen Deckenfresken. Militärische Ruhmestaten des Kurfürsten rahmen Gemälde von Franz Joachim Beich.
Auch das Neue Schloss litt unter Bombenschäden (Zerstörung 1945), wurde jedoch ab 1946 wiederaufgebaut. Der Wiederaufbau orientierte sich an Effners Entwürfen.
Der Garten: Ingenieurskunst und französische Form
Schon 1689 begann man unter Hofbaumeister Zuccalli mit einem aufwändigen Kanalsystem – technisches Fundament des künftigen Wassergartens. Auf dieser Grundlage realisierte der französische Gartenkünstler Dominique Girard ab 1717 parallel zum Schlossbau den formstrengen Barockgarten mit Kaskaden, Parterres, Bosketts und kilometerlangen Achsen. Das Ergebnis zählt bis heute zu den bedeutendsten Barockgärten Europas.
Epochenwandel, Krieg und Wiedergeburt
Nach Max Emanuels Tod ebbten die kaiserlichen Träume. Umbauten des 19. Jahrhunderts – zeitweise klassizistische Eingriffe – sowie die Kriegszerstörungen des 20. Jahrhunderts prägten den Bestand. Seit den Nachkriegsjahrzehnten wurde Schleißheim mit großem Aufwand restauriert und als Museums- und Denkmalensemble neu belebt: Altes Schloss mit Präsentationen des Bayerischen Nationalmuseums, Neues Schloss mit Prunkräumen und Schausammlungen, Lustheim als Porzellan-Museum.
Besuchen – und erleben
Die Anlagen sind saisonal geöffnet (April–September i. d. R. 9–18 Uhr; Oktober–März 10–16 Uhr; montags geschlossen, mit Feiertagsausnahmen). Der Park ist ganzjährig zugänglich. Aktuelle Zeiten bitte vorab prüfen.
Was heute im Schloss passiert: Konzerte, Märkte, Führungen
Festkonzerte im Neuen Schloss (Großer Saal):
Von 24. Mai 2025 bis 13. September 2026, jeweils 19:30 Uhr, veranstaltet Bavaria Klassik eine Reihe festlicher Konzerte – teils auch Open Air in den Arkaden. Tickets und Termine sind über die Bayerische Schlösserverwaltung und die gängigen Vorverkaufsstellen gelistet. Beispiele: 31.08., 07.09. und 14.09.2025.
ührungen & Sondertermine:
Regelmäßig werden thematische Führungen durch Neues Schloss und Park angeboten; zudem ist die Wilhelmskapelle im Alten Schloss an jedem ersten Sonntag im Monat im Rahmen des Rundgangs zugänglich. Prüfen Sie den Veranstaltungskalender der Schlösserverwaltung für tagesaktuelle Angebote.
Fazit
Schleißheim ist mehr als ein Ausflugsziel: Es ist ein enzyklopädisches Lehrbuch des europäischen Barock – von der Oberitalien-Renaissance im Alten Schloss über die französisch inspirierte Repräsentationsarchitektur des Neuen Schlosses bis zur Gartenkunst à la Girard. Wer durch die Achsen des Parks auf Lustheim blickt, spürt, was den Wittelsbachern vorschwebte: eine Bühne, auf der Politik, Kunst und Natur in einer einzigen, machtvollen Komposition verschmelzen. Und heute? Diese Bühne lebt – mit Konzerten, Märkten und Führungen, die die historische Kulisse klang- und farbvoll füllen.
Hinweis: Termine ändern sich gelegentlich; bitte die aktuellen Angaben direkt bei der Bayerischen Schlösserverwaltung bzw. den Veranstaltern prüfen.