Manche Orte lassen einen den Atem anhalten. Nicht, weil sie laut sind oder spektakulär im klassischen Sinne, sondern weil sie eine Stille und Weite in sich tragen, die man so schnell nicht vergisst. Der Glenveagh Nationalpark in der nordwestlichen Grafschaft Donegal ist genau so ein Ort – ursprünglich, einsam, dramatisch schön. Ein Stück Irland, wie man es aus alten Liedern kennt.
Der erste Blick – wie ein Gemälde
Als ich zum ersten Mal über das Glenveagh-Tal blicke, fühlt sich alles ein wenig surreal an. Grüne, moosbedeckte Hügel, von Nebelschwaden umhüllt. Im Tal der langgestreckte Lough Veagh, tiefblau und glatt wie Glas. Und dahinter: das wuchtige Derryveagh-Gebirge, dessen kahle Gipfel wie vergessene Riesen in den Himmel ragen.
Der Glenveagh Nationalpark erstreckt sich über rund 170 Quadratkilometer – das größte geschützte Naturgebiet Irlands. Was hier so unberührt wirkt, ist tatsächlich genau das: ungezähmt, wild, manchmal rau, aber in jeder Sekunde voller Leben.
Wandern im Wind
Es gibt kaum eine bessere Art, diesen Ort zu erleben, als zu Fuß. Zahlreiche Wanderwege führen durch die Landschaft: von gemütlichen Spazierwegen entlang des Sees bis hin zu anspruchsvolleren Bergtouren mit Panoramablick über das gesamte Tal.
Ich entscheide mich für den Pfad vom Besucherzentrum zum Glenveagh Castle – rund 3,5 Kilometer durch lichte Birkenwälder, vorbei an plätschernden Bächen, immer begleitet vom Glitzern des Sees zur Rechten. Der Wind trägt das Rufen der Vögel und das Rascheln des Grases herüber. Kein Straßenlärm, kein Trubel – nur Natur, die sich selbst genügt.
Wer Glück hat, begegnet unterwegs einem Rothirsch – Glenveagh ist einer der letzten Rückzugsorte dieser majestätischen Tiere in Irland. Auch Otter, Füchse, Wildziegen und unzählige Vogelarten sind hier zu Hause.
Glenveagh Castle – Eleganz in der Einsamkeit
Und dann taucht es plötzlich auf: das Glenveagh Castle, am Ufer des Sees, umrahmt von Gärten, die eher an Südfrankreich als an den rauen Norden Irlands erinnern. Erbaut wurde das Schloss im 19. Jahrhundert von John George Adair, einem wohlhabenden Grundbesitzer, der sich hier ein Rückzugsparadies im Stil schottischer Baronialarchitektur schuf.
Die Geschichte des Schlosses ist allerdings nicht nur märchenhaft. Adair wurde berüchtigt, als er Dutzende Familien aus dem Tal vertreiben ließ – nur um freie Sicht auf „sein“ Glenveagh zu haben. Ein prachtvoller Ort, mit einem dunklen Schatten.
Heute ist das Schloss öffentlich zugänglich. Die Innenräume zeigen Möbel und Kunstwerke aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, und die angrenzenden Gärten sind eine botanische Überraschung: exotische Blumen, tropische Farne, Terrassengärten – alles trotz des rauen Klimas dank geschickter Planung am Leben gehalten.
Ein stiller Ort der Besinnung – die Kirche von Glenveagh
Abseits der Wege und vom Trubel des Schlosses entfernt, stößt man auf die kleine Kirche von Glenveagh. Erbaut im 19. Jahrhundert, steht sie heute wie ein vergessenes Relikt inmitten der Wildnis. Umgeben von einem alten Friedhof und Birkenbäumen, ist sie ein Ort der Stille, ein Symbol für die geistige Seite dieses Tals.
Der Besuch hier fühlt sich fast spirituell an. Es ist einer dieser Orte, an denen man innehält, auch wenn man nicht religiös ist. Vielleicht ist es die Einsamkeit, vielleicht die Geschichte, vielleicht einfach der Zauber dieses Landes.
Praktisches für Besucher
Der Eingang zum Nationalpark liegt etwa 25 Kilometer nordwestlich von Letterkenny. Ein modernes Besucherzentrum bietet Informationen über Geologie, Flora, Fauna und die Geschichte des Parks. Von hier aus starten Shuttlebusse zum Schloss, oder man wandert entlang des Sees. Geführte Touren sind ebenfalls buchbar – und sehr zu empfehlen, wenn man tiefer in die Geschichte eintauchen möchte.
Der Park ist ganzjährig geöffnet und kostenlos zugänglich. Nur der Eintritt ins Schloss und die Gärten ist kostenpflichtig.
Fazit – Wild, still und unvergesslich
Der Glenveagh Nationalpark ist kein Ort, den man in einer Stunde „abhaken“ kann. Er ist ein Erlebnis. Eine Reise durch unberührte Natur, ein Spaziergang durch Jahrhunderte, ein stilles Gespräch mit einem Landstrich, der sich seine Ursprünglichkeit bewahrt hat.
Wer Irland erleben will, jenseits von Klischees und Reisegruppen, der sollte Glenveagh auf die Liste setzen. Es ist ein Ort, der nicht laut beeindruckt, sondern still unter die Haut geht – und lange dort bleibt.