Auf dem Juutua Trail – Winterwanderung durch das Herz Lapplands
Der Sonntag beginnt still, wie so viele Tage hier oben im Norden. Nach einem erholsamen Schlaf in unserer Hütte direkt am zugefrorenen Inarisee und einem kleinen, warmen Frühstück – frisches Brot, heißer Kaffee, ein paar Beeren – nehmen wir uns Zeit, um den Tag zu planen. Die klare Winterluft draußen lockt, aber zunächst wollen wir ein paar Safaris buchen, denn in Inari gibt es so vieles zu erleben, was man nicht jeden Tag machen kann.
Aurora-Safari statt Husky-Tour
Wir betreten das kleine Büro der örtlichen Touragentur, das direkt neben dem Siida-Museum liegt. Drinnen ist es warm, gemütlich und voller Prospekte. Eine freundliche Dame begrüßt uns auf Englisch, mit einem Lächeln, das fast so hell ist wie der Schnee draußen. Wir fragen nach Husky-Touren, Motorschlitten-Abenteuern und natürlich – Nordlicht-Safaris.
Die Husky-Safaris? Alle ausgebucht für die nächsten Tage. Offenbar sind wir nicht die einzigen, die sich nach dem lautlosen Gleiten durch die weiße Weite sehnen. Aber: Für den Abend sind noch genau zwei Plätze frei auf einer Aurora Hunting Safari – mit Bus, Guide und ein bisschen Glück. Und Glück werden wir wohl brauchen, denn so zuverlässig die Technik auch ist – die Polarlichter sind und bleiben ein Naturwunder.
Die Vorhersage sieht gut aus: KP-Wert 5, das bedeutet eine recht hohe Sonnenaktivität. Ideal für Nordlicht-Beobachtungen, besonders hier in der Region um Inari, wo der Himmel meist klarer ist als weiter südlich. Ich werfe noch einen Blick in meine App – sie heißt schlicht AURORA – und die Prognosen stimmen mit der Aussage der Guide-Dame überein. Wir buchen sofort.
Ein spontaner Ausflug in die weiße Stille
Da wir für den Abend nun verplant sind, wollen wir den Tag noch nutzen. „Gibt es hier eine kleine Wanderung, die man auch ohne Schneeschuhe machen kann?“, fragen wir. Die Dame überlegt kurz und zeigt dann auf eine Karte, lächelt und sagt:
„Try the Juutua Trail – very nice, just over the bridge.“
Juutua Trail. Der Name klingt schon fast poetisch. Und es stimmt: Der Startpunkt liegt nur wenige Minuten von unserer Unterkunft entfernt, direkt gegenüber vom Siida-Museum. Kein Shuttle, kein Auto, keine Ausrüstung nötig – wir haben ohnehin bereits unsere Winterkleidung an, also gibt es keinen Grund zu zögern. Einfach loslaufen – so beginnt oft das Beste.
Auf dem Juutua Trail – Wintermärchen auf Schusters Rappen
Der Weg beginnt direkt an einer hölzernen Brücke, die über den Juutuanjoki, den Juutua-Fluss, führt. Auch wenn das Wasser an manchen Stellen noch sichtbar ist, sind weite Teile des Flusses bereits zugefroren. Eine hauchdünne Eisschicht glitzert wie Glas im Morgenlicht. Das Wasser darunter fließt schnell – lebendig, dunkel, geheimnisvoll. Die Kombination aus Eis und Bewegung ist faszinierend.
Der Pfad ist leicht zu erkennen. Er wurde regelmäßig präpariert, und obwohl eine dicke Schneeschicht alles bedeckt, ist der Weg gut begehbar. Festes Schuhwerk ist natürlich Pflicht – ohne gefütterte, wasserdichte Stiefel geht hier nichts. Doch die Schneeschuhe können wir tatsächlich im Auto lassen.
Es ist still, so still wie nur ein Wald im Winter sein kann. Kein Wind, kein Tierlaut, kein Verkehr. Nur das Knirschen unserer Schritte, das leise Plätschern des Flusses und ab und zu das dumpfe „Poff“, wenn irgendwo in der Ferne ein Brocken Schnee von einem Ast fällt.
Eine Welt aus Schnee und Licht
Der Juutua Trail führt uns durch dichten, verschneiten Wald, vorbei an gefrorenen Wasserläufen, unter Ästen hindurch, die sich schwer unter der Last des Schnees biegen. Es ist eine Szenerie wie aus einem Märchenbuch. Die Sonne kämpft sich zaghaft durch den Himmel, schafft es aber kaum, den Horizont zu verlassen. Stattdessen taucht sie alles in ein weiches, blau-oranges Licht, das die Welt fast unwirklich erscheinen lässt.
Alle paar hundert Meter stehen kleine Schilder mit Erklärungen – auf Finnisch, Samisch und Englisch. Der Trail ist nicht nur ein Naturweg, sondern auch ein kultureller Lehrpfad, der die Geschichte der Sámi und ihrer Beziehung zur Natur erzählt. Wir erfahren etwas über Rentierhaltung, über die Bedeutung des Juutua-Flusses als Lachsgewässer und über alte Mythen, die sich um diesen Ort ranken.
Holzstege, Hängebrücken und eine Rast in der Einsamkeit
Der Weg ist abwechslungsreich – nie anstrengend, aber auch nie langweilig. Teilweise führt er über Holzstege, die über kleine Bäche gelegt wurden. An einer Stelle quert er den Fluss über eine Hängebrücke, die ein wenig schwankt, aber absolut stabil ist. Von hier hat man einen grandiosen Ausblick auf die Schluchten des Flusses, auf Eisplatten, auf offene Wasserflächen und auf schneebedeckte Felsen.
Wir setzen uns auf eine der kleinen Holzbanken am Wegesrand, nehmen einen Schluck warmen Tee aus der Thermosflasche und hören der Stille zu. Es ist, als ob die Welt den Atem anhält. Man vergisst die Zeit, vergisst die Kilometer. Es gibt nur noch diesen Moment.
Rückkehr mit leichtem Herzen
Nach etwa zwei Stunden – mit vielen Pausen, Fotos, kleinen Umwegen – kehren wir zurück zur Brücke. Der Himmel wird langsam dunkler, ein zartes Rosa legt sich über den Horizont. Die Temperatur sinkt spürbar. Unsere Hände sind kalt, aber unsere Gedanken warm.
Der Juutua Trail war keine spektakuläre Bergwanderung, kein wilder Naturpfad mit Herausforderungen, sondern vielmehr eine stille, tiefgehende Erfahrung. Ein Spaziergang in eine andere Welt. In eine Welt, in der der Schnee leise Geschichten erzählt und der Atem sichtbar wird. In eine Welt, in der man sich wieder spürt.
Ausblick auf den Abend
Zurück in der Unterkunft bereiten wir uns auf die Polarlicht-Tour vor. Die warme Kleidung liegt bereit, Akkus sind geladen, Kameras gecheckt. Die Vorfreude ist groß – die Sonnenaktivität hoch, der Himmel klar. Doch selbst wenn heute Abend keine Lichter am Himmel tanzen sollten – der Tag war bereits ein Geschenk.